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Neurodivergenz mitdenken – 5 Tipps für eine inklusivere Eventgestaltung

15. Okt. 2025

Lesezeit: 7 Minuten

Volle Hallen, viele Gespräche, ein eng getaktetes Programm und eine permanente Geräuschkulisse: Große Veranstaltungen wie Messen, Kongresse und Festivals bringen eine Vielzahl an Reizen mit sich. Für neurodivergente Menschen kann das besonders anstrengend werden.

Was ist Neurodivergenz?

Neurodivergenz beschreibt neurologische Unterschiede des Gehirns, die von der gesellschaftlichen Norm eines neurotypischen Gehirns abweichen. Im Gegensatz zu neurotypischen Menschen, nehmen Neurodivergente Menschen viele Reize anders wahr und verarbeiten Informationen in vielfältiger Weise. Dabei ist die Diagnostik auch noch sehr komplex und die Symptomliste vielfältig. Einige erleben Reizüberflutungen und Kirmes im Kopf, für andere sind Händeschütteln, Small-Talk und Umarmungen eine Herausforderung und nochmal andere haben Schwierigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen.

Schätzungsweise 20% aller Menschen weltweit sind neurodivergent, also auch jede fünfte Person auf eurem Event. Betroffen sind unter anderem Menschen mit:

  • Autismus-Spektrum-Störung (ASS)
  • Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
  • Dyslexie (Lese-Rechtschreib-Schwäche)
  • Dyskalkulie (Rechenschwäche)
  • und mehr
Wichtig: Menschen können neurodivergent sein, ohne dafür eine offizielle ärztliche Diagnose zu haben. Neurodivergenz ist keine Krankheit.

Eventplanung für Menschen mit Neurodivergenz

Unsere Welt ist in vom Durchschnitt für den Durchschnitt gemacht - das kann für neurodivergente Menschen zur echten Herausforderung werden. Auch bei pretix arbeiten neurodivergente Menschen. Wir haben mal genauer nachgefragt, wie sie sich ein ideales Event vorstellen.

Tipp 1 – Erleichtert die Vorbereitung auf das Event

Für viele beginnt die Überforderung schon lange vor der eigentlichen Veranstaltung. Fragen wie „Was erwartet mich?“, „Wie komme ich am besten dorthin?“ oder „Wie sollte ich mich verhalten?“ beschäftigen betroffene Menschen häufig im Vorfeld.

Darum gilt: Je mehr Infos ihr euren Teilnehmenden frühzeitig bereitstellt, desto besser. Wichtig ist dabei nicht nur die Menge, sondern auch die Art der Aufbereitung. Informationen sollten klar strukturiert, gut auffindbar und übersichtlich dargestellt sein.

Nutzt die Möglichkeiten der digitalen Welt, um eine leicht zugängliche Informationsbasis zu schaffen, etwa über Eure Website oder spezielle Apps und Plattformen. So können sich Eure Teilnehmenden schon vorab orientieren und entspannt in die Veranstaltung starten. Bringt beispielsweise folgende Dinge mit ein:

  • Anfahrtsinfos und Infos zum ÖPNV
  • Ticketinfos
  • Beschriftete Lagepläne oder interaktive Maps (Wo sind Bühnen, Toiletten, Ruheräume, Ausgänge, Bereiche mit wenig Lärm,...)
  • Angaben zur Barrierefreiheit
  • Programmpläne mit Favorisierungs- und Filteroptionen
  • Hinweise zu den Pausen - Sind diese dazu da, um sich zu erholen, zu essen oder zu netzwerken?
  • Fotos der Location und den wichtigsten Spots
  • Informationen zum Publikum, zu Speaker*innen, Künstler*innen, Sponsor*innen, etc.
  • Die Möglichkeit sich vorab und während des Events schriftlich mit anderen Teilnehmenden auszutauschen
  • Generische Packlisten, z.B. zum Ausdrucken und Abhaken
  • Zu erwartende Besuchenden-Menge, z.B. pro Quadratmeter oder insgesamt
  • Leicht auffindbare Kontaktmöglichkeiten zum Support, der bei weiteren Fragen helfen kann

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Tipp 2 – Entzerrt Menschenmassen und schafft Rückzugsorte

Große Menschenmengen können für viele beklemmend wirken: Bewegungsfreiheit wird eingeschränkt, Berührungen lassen sich kaum vermeiden und genau das kann sehr unangenehm werden. Bietet daher Alternativen an, wie zum Beispiel die Möglichkeit, abseits vom Geschehen per Audio- oder Videoübertragung teilzunehmen.

Achtet außerdem auf Rückzugsorte wie „Haltebuchten“, separate Ruheräume oder spezielle Bereiche wie Menstruationszelte. Hier können genügend bequeme Sitzgelegenheiten eine wertvolle Ressource sein und für einen entspannteren Aufenthalt sorgen. Auch ein ruhiger Austausch ist für viele Menschen wichtig. Überlegt deshalb, Tickets mit Wiedereinlass anzubieten, sodass Teilnehmende jederzeit vor die Tür gehen und dort Pause machen können.

Hilfreich kann es auch sein, Warteschlangen und voraussichtliche Wartezeiten an Eingängen sichtbar zu machen. Live-Anzeigen zur Auslastung der verschiedenen Räume oder Bühnen können Orientierung verschaffen und helfen, Menschenmassen bewusst zu meiden.

Denkt auch an das Ende der Veranstaltung: Hier wird es oft besonders voll, wenn nur ein oder zwei Ausgänge offen sind. Mehrere Ausgänge, klar ausgeschildert und rechtzeitig angekündigt, entzerren den Menschenandrang spürbar!

Eine großartige Option sind außerdem hybride Events. Sie ermöglichen per Livestream die Teilnahme von zu Hause aus. Eine Lösung, die nicht nur neurodivergenten Menschen zugutekommt, sondern auch allen, die sonst in ihrer Mobilität und Reisefreiheit eingeschränkt sind. Unsere Eventplattform Venueless eignet sich hierfür hervorragend und bringt zudem viele zusätzliche Features mit!

Tipp 3 – Gebt leicht verständliche Orientierungshilfen

Eine gute Orientierung nimmt Stress und gibt Sicherheit. Schafft deshalb gut sichtbare Treffpunkte und Beschilderungen, die einfach und intuitiv zu verstehen sind. Symbole ergänzend zu Texten helfen besonders Menschen mit Dyslexie.

Farbige Linien auf dem Boden oder an Wänden mit unterschiedlichen Strichmustern, die zu einzelnen Räumen führen, können ebenfalls eine gute Stütze sein, damit euer Publikum sich zurechtfindet.

Unverzichtbar sind auch Lagepläne vor Ort. Achtet darauf, dass diese übersichtlich gestaltet sind und immer einen deutlich erkennbaren „Sie sind hier“-Punkt enthalten. So finden sich Eure Teilnehmenden besser zurecht und bewegen sich entspannter über das Veranstaltungsgelände.

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Tipp 4 – Versucht die Intensitäten zu reduzieren oder abzudämpfen

Gerade für Menschen mit ADHS oder Hochsensibilität können starke Reize wie laute Geräusche oder grelles Licht schnell überfordernd wirken. Achtet daher bewusst auf die Akustik: Die Lautstärke sollte nicht zu hoch sein, und vor allem Höhen gilt es, gut abzumischen. Ein echter Plusplunkt für eure Zielgruppe auf eurem Event können daher Automaten mit Ohrstöpseln sein.

Auch das Angebot spezieller Formate wie „Silent Parties“ oder Kopfhörerbühnen sind tolle Möglichkeiten, die Intensitäten anpassbar zu machen.

Denkt auch an das Thema Beleuchtung. Statt die Teilnehmenden direkt anzustrahlen, sollte das Licht bevorzugt auf Wände oder Hintergründe gerichtet werden, um eine angenehmere Atmosphäre zu schaffen.

Ebenso wichtig ist ein ausgewogenes Programm. Verzichtet auf zu dicht getaktete Abläufe und plant ausreichend Pausen ein. So kann sich euer Publikum zwischendurch erholen. Zusätzlich hilft es, Vorträge und Workshops aufzuzeichnen und in einem Videoarchiv bereitzustellen, damit alle die Möglichkeit bekommen, Inhalte nachzuholen, wenn sie eine Pause brauchen.

Tipp 5 – Helft mit, die Bedürfnisse einzelner Menschen sichtbar zu machen

Nicht jede Person möchte im gleichen Maß angesprochen oder eingebunden werden. Ihr könnt dabei unterstützen, indem Ihr kleine, optionale Kennzeichnungen anbietet, die den Umgang untereinander erleichtern.

Beispielsweise eignen sich Sticker oder Symbole mit klaren Botschaften wie „Bitte keine Umarmungen oder Fotos“ oder „Do not interact with me“-Icons, die sich abnehmen und bei Bedarf wieder anziehen lassen. Auch farblich unterschiedliche Bändchen können hilfreich sein: Sie können auf einen Blick zeigen, wer aktiv netzwerken möchte und wer eher für sich bleiben will, aber vielleicht trotzdem offen für Anschluss ist. So wird der Raum inklusiver, weil die individuellen Bedürfnisse sichtbar werden und respektiert werden können, ohne dass Teilnehmende diese immer wieder erklären müssen.

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Weitere Basics, die allen zugutekommen

Nicht nur für neurodivergente Menschen, sondern für wirklich alle Gäste sind einige Grundlagen entscheidend, um den Aufenthalt auf eurem Event angenehm zu gestalten. Dazu gehören ausreichend Sitzgelegenheiten, saubere und in ausreichender Zahl vorhandene Toiletten (Toiletten-Container mit Spülung statt Einwegtoiletten) sowie die Möglichkeit, persönliche Dinge sicher in Schließfächern zu verstauen.

Ein weiteres zentrales Thema ist die Versorgung mit Essen und Trinken. Denkt daran, unterschiedliche Bedürfnisse mit zu berücksichtigen. Von Unverträglichkeiten wie Glutenintoleranz über vegan/vegetarisch und halal/koscher bis hin zu sensiblen Mägen oder Darmerkrankungen: Schafft das benötigte Angebot für eure Zielgruppe oder gebt Teilnehmenden bei Bedarf die Möglichkeit, eigenes Essen mitzubringen, wenn es vorher angemeldet und vor Ort geprüft werden kann. Hier helfen auch, soweit es die Hygienerichtlinien zulassen, Küchennischen mit Kühlmöglichkeiten oder Mikrowellen. Mindestens genauso wichtig: Kostenloses Trinkwasser. Stellt Wasserstationen bereit oder sorgt dafür, dass stilles Wasser jederzeit erhältlich ist.

Fazit

Events können wunderbare Begegnungsräume sein, vorausgesetzt, sie sind so gestaltet, dass sich alle Menschen sicher und willkommen fühlen. Mit ein paar gezielten Anpassungen und dem Bewusstsein für unterschiedliche Bedürfnisse lässt sich schon viel erreichen. Ob klare Informationen im Vorfeld, Rückzugsorte, oder kleine Extras wie kostenlose Trinkwasserstationen: Wer Inklusion von Anfang an mitdenkt schafft Veranstaltungen, die nicht nur zugänglicher, sondern für alle Teilnehmenden angenehmer werden – und damit auch langfristig erfolgreicher!

Dani Wenz

Dani ergänzt seit 2024 das pretix-Team und kümmert sich mit um Marketing und Events. Neben ihrer Leidenschaft für Organisation und Kommunikation begeistert sie als ehemalige Mediengestalterin alles, was mit Farben, Texten und Bildern zu tun hat. Privat liebt sie es, Sport zu treiben, zu malen, ihre Pflanzensammlung zu erweitern (denn man kann nie genug Pflanzen haben!) und Zeit mit Tieren zu verbringen.

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